Lehrstuhl für Finnougristik
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Erfahrungsbericht zur Winterschule

Die zwölfte finnougrische Winterschule im Rahmen der Partnerschaft REMODUS fand vom 5. - 10. Februar 2024 in Uppsala in Schweden statt. Im Fokus stand dieses Jahr Altfinnisch.

Dazu gab es zunächst eine vierstündige Einführung Earliest Written Finnic von Rogier Blokland, in der Textbeispiele der ostseefinnischen Sprachen betrachtet und anschließend die Schriftgeschichte dieser Sprachen erläutert wurde. Innerhalb des ostseefinnischen Zweigs ist das Finnische die am frühesten belegte Sprache. Den Eigenheiten des Altfinnischen war ein eigener Kurs gewidmet: anhand von Auszügen aus der ersten finnischen Bibelübersetzung und schaurigen, frühneuzeitlichen Rechtstexten diskutierte Merlijn de Smit ausführlich, ob besondere grammatikalische Phänomene „original finnisch“ oder eher dem Einfluss von Latein und Deutsch sprechenden Schreibern geschuldet sein könnten.
In diesem Rahmen durften wir in der wundervollen Universitätsbibliothek Carolina Rediviva ein Exemplar des ersten finnischen Buches im Original besehen, Se uusi testamenti (Das Neue Testament) aus dem Jahre 1548, das von Mikael Agricola ins Finnische übersetzt wurde.

Im ersten Workshop von Riitta-Liisa Valijärvi zum Thema Language Revitalization In Theory and Practice gab es eine umfassende Einführung in das Feld der Sprachrevitalisierung mit konkreten Tipps zur Umsetzung, die anschließend in einer sehr ergiebigen Gruppenarbeit an Praxisbeispielen angewendet werden konnte. Zuerst sollte ein Projekt zur Revitalisierung oder Förderung einer beliebigen gefährdeten Sprache entworfen werden, das im Anschluss im Plenum diskutiert wurde. In einer weiteren Übung übernahm jeweils eine Person pro Gruppe die Aufgabe des „Experten“, der den anderen Teilnehmern elementaren Unterricht in einer beliebigen (gefährdeten oder auch nicht gefährdeten) Sprache erteilte. Die große Schwierigkeit bestand dabei nicht nur darin, auf teilweise unterschiedliche Vorkenntnisse der einzelnen Gruppenmitglieder einzugehen, sondern auch, jegliche Anleitung und Kommunikation in anderen Sprachen zu vermeiden.

Im zweiten Workshop von Petar Kehayov ging es um Modelling Language Contact and AI. Dieser Workshop war eine gemeinsame Probe, ob die künstliche Intelligenz in ChatGPT schon über detailliertes Fachwissen zu Sprachkontakten verfüge und anschaulich (grafisch) aufbereiten könne. Dies war nicht der Fall, weshalb wir in Gruppen untersuchten, ob sie anhand von Fachtexten und selbst erstellten Grafiken zu dem Thema anschauliche Ergebnisse liefern könne, was auch fehlschlug und in Texten und Grafiken mit falschen oder sinnlosen Informationen resultierte. Der Workshop endete also in der Erkenntnis, dass künstliche Intelligenz noch keine Unterstützung für das Forschungsgebiet bietet und dass sie, statt Unwissen einzugestehen, erfundene Informationen liefert.

Neben den Kursen und Workshops gab es auch drei Gastvorträge:

Birsel Karakoç bot mit ihrem Vortrag An Introduction To Turkic eine Einführung in die Turksprachen, denen man in der Finnougristik immer wieder begegnet, wenn es um Sprachkontakt geht. Der Inhalt des Vortrags bestand aus dem historischen Hintergrund und einem typologischen Überblick mit vielen Diskussionsmöglichkeiten, in denen das eigene Wissen aus dem finnougrischen Hintergrund gefragt war.

Im Vortrag zu paläosibirischen Sprachen wurde hauptsächlich die tschuktschische Sprache analysiert. Am Anfang gab es einen Überblick über die Sprachfamilie und die benachbarten Kontaktsprachen. Frühe Kontaktsprachen sind u.a. Sibirisches Yup’ik, Jukagirisch oder Evenisch. Neuere Kontaktsprachen sind Japanisch, Russisch und Englisch. Danach wurden verschiedene Merkmale der tschuktschischen Sprache detailliert erklärt. z. B. Split-Ergativität, Belebtheitshierarchie oder Vokalharmonie, die vor allem im Kontext der uralischen Sprachen besonders interessant ist. Besonders interessant waren männliche und weibliche Varietäten der Sprache – historische Entwicklungen, die mit kulturellen und sozialen Aspekten sehr eng verbunden sind.

Im letzten Gastvortrag bot Matti Miestamo einen sehr gut strukturierten Überblick zum Thema Negation In Uralic Languages And Beyond. Besonders interessant war auch die Vorstellung von laufenden Forschungsprojekten, die gezeigt hat, dass diese Thematik bei weitem noch nicht erschöpfend erforscht ist.

Das jährliche Highlight einer jeden Winterschule ist wohl der „Ugri-Mugri“-Abend, welcher dieses Jahr im urigen Keller eines Irish Pubs stattfand. Virtuos begleitet von einer finnischen Mitstudentin am Klavier sangen wir Lieder in verschiedenen finnougrischen Sprachen aus dem berühmten Liederbüchlein A vihreä könyv ‚Das grüne Buch‘ (ung. a ‚der, die, das‘, fi. vihreä ‚grün‘, ung. könyv ‚Buch‘).

Zum Abschluss der Winterschule wird den Studierenden immer die Möglichkeit geboten, Ergebnisse aus laufenden Studienarbeiten vorzustellen – eine gute Gelegenheit, sich nicht nur im Präsentieren allgemein zu üben, sondern auch die eigenen Ergebnisse vor Fachpublikum zu diskutieren und sich wertvolle Rückmeldungen von den jeweiligen Spezialisten eines Fachgebiets zu holen.

 

Alexander Veselov, Letizia Hross, Margarita Wolf